A Man and the Sea

Die Liebe zum Meer hat Nikolaus Gelpke zum Verleger gemacht. Mit Mare hat er in Hamburg seine Bestimmung gefunden.

Nikolaus Gelpke hat sich in ein Schiff verliebt. Ein Trawler aus den 60er-Jahren, der in Norwegen vor Anker liegt. Das erste Mal sah er ihn in einem Reisekatalog, diesen Tausendsassa; seit Jahrzehnten in den rauesten Gewässern der Welt unterwegs, Reichweite 10.000 Kilometer, Besitzer: ein serbischer Kunsthändler in New York. Es war kein leichtes Unterfangen, denn das Schiff ist auf den Cookinseln registriert, aber nun gehört es ihm, oder besser gesagt: seiner Firma, dieses 38 Meter lange Prachtstück, „unfassbar schön, aber mit wahrlich wenig Komfort“. Nikolaus will den Trawler aufrüsten und ökologischer machen und bald Reisen hoch in die Arktis anbieten für Menschen, die seine Sehnsucht nach alten Pötten teilen und auch seine Liebe zum Meer.

Wenn Nikolaus in seinem Büro hoch oben in einem der Kontorhäuser in Hamburg sitzt und aus dem Fenster blickt, hat er das Meer gleich vor Augen, es zeigt sich zwischen den Häusern der Speicherstadt in Gestalt von Ebbe und Flut, der Hafen ist ganz in der Nähe und jeden Tag, sagt Nikolaus, „ist man mit seinen Gefühlen und Gedanken beim Meer und bei der Schifffahrt“. 1996 kam er hierher, um sein Büro zu eröffnen. Eine Zeitschriftenredaktion, mitten im Zollfreigebiet. Zweimal musste er deswegen zur Oberfinanzdirektion, damals wachte hier noch die Wasserschutzpolizei. „Da gab es noch keine Knöllchen“, scherzt Nikolaus, dessen Frisur so unbändig wirkt, als würden die Wellen sein Haar umtosen.

Zusammen mit drei Freundinnen gründete er Mare, die „Zeitschrift der Meere“. Mit Geschichten über das Meer, mit dem Meer, manchmal auch: aus der Sicht des Meeres, von Rio de Janeiro bis Kaliningrad. Es gibt kaum ein Thema, sagt Nikolaus, das sich nicht über das Meer betrachten ließe – selbst die Anschläge des 11. September. Die Zwillingstürme, erzählt Nikolaus, waren ursprünglich von der Hafenbehörde als Festigung ihrer Macht gebaut worden. Jener Institution, die einst durch Einwanderer groß wurde und der heute das Bussystem, die Brücken und Flughäfen New Yorks gehören. „Wir waren die einzigen, die diesen Aspekt beleuchtet haben.“

Das Vorhaben, auf lange, elegische Kulturreportagen zu setzen, stieß auf Unverständnis, zuweilen Häme in einer Zeit, wo die Digitalisierung noch eine zuckersüße Zukunft versprach. „Doch diese langsame Erzählweise war und ist eine Lücke im Markt“, sagt Nikolaus, „und war nur möglich, weil wir alle keine Medienleute waren.“ Hinter einer Weltkarte im Redaktionsbüro hängen Hunderte Post-its, einige älter als zehn Jahre. „Jede Geschichte, die hier hängt, machen wir auch irgendwann.“ Die Leser, sagt er, seien nicht unbedingt nur Meeresfreunde. Aber sie schätzten die Qualität der Berichte. Das Wirtschaftsmagazin Bilanz berichtet, im letzten Jahr habe Nikolaus mit seinem Verlag 3,5 Millionen Euro umgesetzt, das Unternehmen schreibe schwarze Zahlen. Nikolaus sagt dazu: nichts.

Ob die Sehnsucht nach dem Meer größer ist, wenn man nicht hinter dem Deich aufwächst? Vielleicht. Nikolaus wurde in der Schweiz und in Italien groß „und man romantisiert das Meer, über Literatur und Sachbücher, das ist auch mir passiert“. Zur romantischen Verklärtheit gesellte sich die sinnliche Erfahrung des Elements, Nikolaus tauchte in die Tiefe, „wo der Druck höher ist und der Ton sich verändert, die Temperatur und das Licht, man spürt die dritte Dimension, es ist wie Fliegen“. Auch über dem Wasser, wenn er segelt, wird ihm die Kraft der Natur wieder offenbar: „Fast nirgendwo werden Sinne mehr angespannt als auf dem Meer, wo jede Welle ausgeglichen werden muss.“

Nach dem Abitur zieht er nach Halifax zu Elisabeth Mann Borgese – die Meeresrechtlerin hat die Unabhängige Weltkommission für Meere ins Leben gerufen, sie war Gründungsmitglied des Club of Rome und außerdem Thomas Manns Lieblingstochter. „Sie war wie eine zweite Mutter für mich“, sagt Nikolaus, dem Elisabeth Mann Borgese Asyl in ihrem einsamen Haus am Atlantik gewährte, damit er sich um ihre Hunde kümmern konnte. Als ihr überbordendes Bücherregal zusammenstürzte, trug sie Nikolaus auf, es zu ordnen: Berichte von Abenteurern, politische und juristische Schriften, Briefe von Michael Mann – fast alles Texte übers Meer. „Da habe ich die Vielseitigkeit des Meeres kapiert.“ In Halifax studiert er internationales Seerecht, Elisabeth Mann Borgese besorgt ihm einen Studienplatz für Meeresökologie in Kiel und Nikolaus verbringt viel Zeit auf Forschungsschiffen, auf der Ostsee, in der Karibik, auf dem Indischen Ozean, oft ohne Landsicht.

An Bord, wo man kaum mehr als die Socken selbst anziehen muss, lernt er, wie es ist, sich aufs Wesentliche zu konzentrieren. Auch deshalb bricht er seine Doktorarbeit ab und gründet Mare. Was der Spiegel macht, denkt er, die Welt in Rubriken zu filetieren, das kann er auch mit dem Meer. Dem Meer ein Medium zu geben, das unter die Oberfläche geht, sieht er als seinen Auftrag. „Unsere Leser“, sagt Nikolaus, „sind Hedonisten, die es sich leisten, etwas Unnötiges zu lesen.“ So, wie sie sich eine Reise nach Grönland gönnen, gönnen sie sich auch das Heft. Heute gehört ein fürs Geschäft nicht unwichtiger Buchverlag zu Mare, außerdem ein Fernsehprogramm im NDR und eine Radiosendung. Nikolaus ist Präsident des International Ocean Institute und der Ocean Science and Research Foundation, er verlegt den jährlichen Zustandsbericht der Meere, sitzt im Beirat der Deutschen Umweltstiftung.

Ein paar Wochen im Jahr setzt Nikolaus sich noch den Elementen aus und geht segeln. „Die Weite und die Ruhe, die Reduktion aufs Wesentliche, das vermisse ich sehr.“ Denn die Arbeit lässt ihm nicht viel Zeit: Nikolaus wollte immer eine „Stimme für die Meere“ sein, jetzt ist er es. Er hat viel zu tun, neben dem Verlag betreibt er noch eine Gastwirtschaft (das Pastalozzi), die er kurzerhand übernahm, weil der Kellner einen Herzinfarkt bekam und dessen Chef ihm die Auszeit für eine Kur verweigerte. Der Genuss, die Kultur, auch dafür ist Nikolaus nach Hamburg gezogen. Die Weltläufigkeit der Stadt habe ihren Ursprung bei den Reedern, sagt er, sie haben Hamburg die Laeiszhalle geschenkt, einst Deutschlands größter Konzertsaal, und sie befassten sich früh mit Kulturen, von denen andere nicht einmal wussten, dass es sie gibt. „Die Mentalität dieser Haudegen, die viele Risiken eingehen und global denken mussten, hat Hamburg sehr stark geprägt“, sagt Nikolaus. „Deshalb bewegt sich Hamburg heute irgendwo zwischen Dorf und Weltstadt.“

Nikolaus ist jetzt 55 Jahre alt und angekommen in Hamburg. „Ich finde es ja merkwürdig“, sagt er, „über Satellitenbilder aus dem All zu definieren, wo ich bin.“ Wer an der Küste wohne, könne relativ einfach zeigen, wo er sich befindet. Wer in Kassel lebe, habe es schon schwerer. „Das hat mich immer unsicher gemacht“, sagt Nikolaus. „Und ich hatte das Gefühl: Wenn ich nicht an der Küste lebe, dann weiß ich nicht, wo ich bin.“

mare.de

Hamburg am Wasser

Övelgönne

Ich habe mal bei einem Bekannten übernachten dürfen, der im Hamburger Stadtteil Övelgönne wohnt. Nachts habe ich aus dem Fenster auf die Hafenanlagen geschaut, ein ganz einschneidendes Erlebnis, und ich dachte: Wie toll ist es eigentlich, dort zu leben.

Museumshafen

In Övelgönne gibt es auch einen ganz tollen Museumshafen, der älteste in Deutschland. Dort liegen Hunderte Jahre alte Schiffe, von denen manche besichtigt werden können. Sie sind übrigens alle noch fahrtüchtig. Besonders das Feuerschiff Elbe 3 fasziniert mich, wenn man sich vorstellt, welchen Stürmen es jahrelang, sommers wie winters vor Anker liegend, trotzte.

Speicherstadt

In der Speicherstadt sind mir schon viele Ideen fürs Heft gekommen – wir haben das Büro nicht umsonst hier gemietet. Im 25hours Hotel Altes Hafenamt Hamburg hängen übrigens viele Fotografien, die in Mare erschienen sind.

Sie stammen aus meiner Privatsammlung, ich habe sie den Fotografen abgekauft. 

Krugkoppelbrücke

Einer der schönsten Aussichtspunkte an der Alster ist die Krugkoppelbrücke oben an der Fernsicht, wo man nach Süden guckt und die Elbphilharmonie sieht. Außerdem gibt es eine Dampferanlegestelle.

Elbphilharmonie

Als Basler finde ich natürlich die Elbphilharmonie toll, die vom Schweizer Architektenbüro Herzog & de Meuron erdacht wurde. Der Plaza ist noch der schlechteste Teil, aber der Ausblick von der Terrasse ist super.

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