Balladen eines Bad Boys

Es ist schwer zu glauben, dass Julian Polin – besser bekannt als Faber – erst 26 Jahre alt ist. So knirschend wie die Stimme und die Lyrics des schweizerischen Singer-Songwriters sind, müsste man eigentlich annehmen, dass er mindestens zwei Dekaden mehr hinter sich hat.

Sein Debütalbum „Sei ein Faber im Wind“ aus 207, gesungen auf Deutsch, lässt wirklich kein Thema aus. Die Tracks paaren schlüpfrige Wortspiele mit treibenden Melodien, erinnern an das heisere Knurren eines Jacques Brel oder das Murmeln der Volksmusik vom Balkan – ein neues Genre melancholischer Dance Music, das die weltmüden Herzen seiner Generation fest im Griff hat. Vor der Veröffentlichung seines zweiten Albums gegen Ende des Jahres hat sich Faber aus dem Studio herausbemüht, um mit COMPANION über die verschwommenen Grenzen zwischen Fakt und Fiktion, die Langeweile in der Stadt Zürich und warum er sich nicht mit Kanye verstehen würde zu sprechen.

COMPANION: Hey Faber, was hörst Du im Moment?

Faber: Tatsächlich höre ich gerade nur Musik, um mich abzulenken – und mich zu entspannen. Oder alternativ so asoziale italienische Trap-Sachen. Ich freue mich aber auch aufs neue Album von Lana Del Rey, das bald erscheint.

Seitdem dein erstes Album 2017 veröffentlicht wurde, bist du ziemlich schnell berühmt geworden. Wie war diese Erfahrung?

(lacht) Ich fühle mich eigentlich gar nicht so berühmt, aber ich merke schon, dass meine Konzerte immer besser laufen. Ich merke, dass meine Musik die Leute berührt, was mich glücklich macht. Das Negative daran, ist, dass man unter Druck gerät. Ich fühle mich in gewisser Weise unter ständiger Beobachtung, was nicht so toll ist. Aber ich schaue, dass mein Privatleben davon unberührt bleibt. Es ist mir wichtig, dass das Private privat bleibt. 

Was sind deine Strategien, um das zu schaffen?

Bisher war ich tatsächlich gar nicht so erfolgreich darin. Auch wenn ich feiern gehe, und denke, dass ich abschalten kann, geht das nicht richtig. Ich merke langsam, dass das keine richtigen Methoden für Eskapismus sind. [lacht]

Du bist in einer künstlerischen Familie mit einem musikalischen Vater aufgewachsen, dem italienischen Singer-Songwriter Pippo Pollina, warst aber nicht wirklich an der traditionellen musikalischen Ausbildung interessiert, die du in jungen Jahren erhalten hast. Was hat Dich zur Musik zurückgebracht?

Ich bin nicht so gerne zur Schule gegangen, wollte aber auch nicht arbeiten. Ich habe irgendwie herausgefunden, dass es da diese Lücke im musikalischen Angebot (in Zürich) gab – das war so ungefähr im Jahr 2010. Es gab niemanden, der bei Hochzeiten oder großen Feiern gespielt hat. Indem ich das gemacht habe, habe ich sehr schnell sehr viel Geld verdient. Und dann war es klar, dass ich nichts lieber machen möchte, als live zu performen. 2013 war ich mit der Schule fertig und ab da habe ich das full-time gemacht. Ich hatte gar keine Angst, was rückblickend ganz schön naiv war. Ich dachte einfach, wenn ich das gerne mache, und wenn ich es oft mache, werde ich besser darin, und dann wird es irgendwann schon jemandem auffallen, und es wird gut laufen.

Ist es ja letztlich auch. Wie war der Weg von da an bis zu Deinem ersten Album?

Das war schon ein langer Prozess, etwa vier Jahre. Ich habe in der Zwischenzeit sehr viel live gespielt – weil es das ist, was ich am liebsten mache, und weil es das ist, was das Geld einbringt. Das hat viel Spaß gemacht und ich habe viel gelernt. Das erste Album war dann quasi auch eine Live-Aufnahme. Wir haben uns gesagt‚ lasst uns einfach ins Studio gehen und so spielen, wie wir es immer tun‘. Wir waren uns alle einig. Es gab kaum eine Post-Produktion. Es war eine gute Zeit – roh und echt, nicht total perfekt, aber die Energie hat gepasst, und genau das hat die Aufnahmen so stark gemacht. 

Wie kam es dazu, dass Du dir den Namen Faber gegeben hast?

Ich wollte eine gewisse Trennung von meinem echten Namen machen – zwischen meiner Privatperson und der Außenfigur – um mich selbst zu schützen. Der Name wurde von verschiedenen Sachen beeinflusst – zum einen ist da das Buch „Homo Faber“ von dem Schweizer Schriftsteller Max Frisch, und dann gibt es da einen der bekanntesten italienischen Singer-Songwriter, Fabrizio De André, dessen Spitzname auch Faber ist. Ich fand es schön, beides zusammenzubringen. Das ist kein besonders modischer Name, was wohl bedeutet, dass er auch nie aus der Mode kommt. Er ist neutral und kurz und man kann ihn sich hoffentlich gut merken. Das waren die Faktoren, die mich dazu gebracht haben. Und nachdem ich die Entscheidung getroffen habe, war es das dann. Ich habe nie zurückgeblickt.

Du und deine Musik haben viele verschiedene Labels bekommen: Singer-Songwriter, Weltmusik, Akustik oder Indie-Pop ...

[lacht] Ich finde all das passt eigentlich – ich würde nichts davon verneinen. All diese Labels sind schon ok. Jedes davon beschreibt einen Teil von mir, aber keines erklärt wirklich die ganze Geschichte. Aber das ist mir eigentlich egal. Ich glaube, mittlerweile sind Stilrichtungen sowieso nicht mehr so eindeutig. So funktioniert das heute nicht mehr, alles ist irgendwie vermischt.

Deine Einflüsse gehen über Genres und Epochen hinweg – von Jacques Brel bis Kanye West. Welche fünf Musiker, ob tot oder lebendig, würdest du gern mal zum Essen einladen? 

Das hängt wohl davon ab, ob man einen schönen Abend haben will (lacht). Ich würde mich ehrlich gesagt lieber gar nicht erst mit Musikern treffen. Ich glaube nicht, dass wir die angenehmste Zeit hätten. Ich mag Kanye West sehr, aber ich würde nie mit ihm abhängen wollen. Das würde nicht funktionieren. Wie soll man mit dem überhaupt eine Konversation führen?

Wie ist es eigentlich, als junger Künstler in Zürich zu leben?

Es war sehr sehr langweilig für eine lange Zeit, sehr uniform, selbst jetzt ist es nicht wesentlich besser, aber endlich tut sich was. Langsam bringen mehr und mehr Leute neue Energie ein. Die Schweiz im Allgemeinen finde ich sehr konservativ. 

Trotzdem ist es Dein Zuhause geblieben. Irgendwelche Vorteile muss das Leben dort doch haben?

Es hat gar keine Vorteile (lacht). Es ist verdammt teuer, die Leute sind nicht nett, das Wetter ist 90 Prozent der Zeit schlecht, es ist unmöglich eine Wohnung zu finden – es gibt keinen einzigen Grund, hier zu sein. Ich bin eben hier aufgewaschen und meine Freunde und Familie sind hier – deswegen bin ich noch da. 

Diesen Sommer hast Du ja die Möglichkeit, dem ein bisschen zu entfliehen, wenn Du auf Tournee durch Deutschland und Österreich gehst. Was was bisher Dein schönstes Tour-Erlebnis?

Es gibt da dieses kleine Festival in der Nähe von Basel, das heißt Mondsucht, und es wird komplett ohne Strom veranstaltet, auch für die Musiker – alles total akustisch. Da kommen so tausend Leute hin und die Stimmung ist super – mit Zelten und Kerzenlicht und Spiegelinstallationen. Ansonsten spiele ich immer gerne in Wien. Eine hübsche Stadt und ich mag die Leute dort sehr.

Was hast du immer dabei, wenn du unterwegs bist?

Das Wichtigste ist frische Wäsche. Und gute Freunde. Alles andere kann man unterwegs besorgen (lacht). 

Einige deiner Songs – wie „In Paris brennen Autos“ – berühren politische Themen, Du hast kürzlich auch angefangen, Dich zusammen mit Viva Con Agua für Wasser als Menschen-recht einzusetzen. Siehst Du dich in der Verantwortung, dich für politische Veränderungen zu engagieren?

Ich finde es schon wichtig, die eigene Plattform zu nutzen, um etwas zu bewegen. Gerade in so schwierigen Zeiten ist es wichtig, sich zu äußern. Selbst bei der aktuellen Lage in Europa, haben Künstler eine Verantwortung, für das einzustehen, an das sie glauben. Ehrlich gesagt sehe ich aber gar nicht, wie sich das in den nächsten paar Dekaden bessern soll. Leider.

Du hast viel Kritik bekommen, weil Du in deinen Liedern Wörter wie Nutte oder Hure be-nutzt, um Frauen zu beschreiben. Wie siehst Du das Thema Sexismus in der Popmusik und Deine eigene Verantwortung darin, gerade in Bezug auf die #MeToo-Debatte?

Eigentlich genauso wie vorher. Auf jeden Fall bin ich für die totale Gleichberechtigung. In vielen Bereichen müssen wir noch extrem viel dazulernen – das gilt für alle, Frauen wie Männer, egal welchen Alters. Ja, ich nutze in meinen Liedern eine sehr grobe Sprache, und ich merke, dass das nicht jedem gefällt. In meinen Songs benutze ich aber sexistische Sprache, um eben überhaupt die Aufmerksamkeit auf das Thema Sexismus zu lenken. Damit will ich Sexismus nicht verharmlosen, sondern als Kritik aufzeigen, dass es eben viele Menschen gibt, die sich tatsächlich so verhalten. Das hat zum Teil funktioniert, aber es gibt auch Leute, die das nicht verstehen und mich für eine Art ekligen alten Mann halten.

In Deinen Liedern benutzt Du oft Wortspiele – „Mit mir bist du allein / lass mich nicht los / lass mich nicht auf dich los“. Was für eine Geschichte erzählst Du da?

Es geht darum wie zwei Menschen, sich gegenseitig mögen und lieben und wollen, aber durch diese Intensität sich auch gegenseitig zerstören können. Diese Spannung zwischen „lass mich nicht los” und „lass mich nicht auf dich los“. Sie können nicht miteinander und sie können nicht ohneeinander. 

Dieses Lied, „Lass mich nicht los“, wird von einem dramatisch und schön aufgenommenen Video begleitet, das Szenen einer intensiven und düsteren Beziehung zeigt, die mehr Fra-gen aufwerfen, als dass sie Antworten geben. Was sollte ein gutes Video für ein Lied tun?

Im besten Fall sollte es eine andere Perspektive der Geschichte zeigen. Ich finde es spannend, wenn es mehr tut, als das Lied einfach nur zu untermalen. Es sollte einen anderen Aspekt einbringen. Aber das ist schwierig zu machen. Ich möchte in Zukunft jedenfalls noch besser darin werden.

Viele Deiner Lieder haben einen traurigen Unterton. Machst Du Musik für traurige Menschen?

Sie sind immer sehr melancholisch, das stimmt. Aber man kann genauso sagen, dass das Musik ist, zu der man tanzen kann. Diese Kombination finde ich sehr spannend. Sie kommt weniger in schweizerischen Kultur vor, aber in Osteuropa – auf dem Balkan –, wo die Menschen oft Partys machen, auf denen traurige Musik gespielt wird. Diese Idee einer traurigen Party – die macht mich wirklich neugierig. Außerdem soll meine Musik auch überraschend sein, und manchmal eben politisch.

Woher nimmst Du denn die Inspiration zum Schreiben deiner Texte?

Leider aus meinem eigenen Leben. Ich habe einige Jahre erlebt, die alles andere als glücklich waren. Ich glaube, es ist ganz normal, sich gerade mit dem eigenen Leben zu beschäftigen, eben weil es das ist, was dich beschäftigt, sowohl persönlich als auch in Bezug auf deinen Platz in der Gesellschaft. 

Andererseits bist Du auch bekannt dafür, die Grenzen zwischen Wahrheit und Erzählung manchmal bewusst verschwimmen zu lassen.

Das ist mir sehr wichtig. Das passiert beim Songschreiber natürlich immer wieder. Die Menschen lügen, denken sich Sachen aus. Die Zuhörer müssen nicht wissen, was wahr ist, und was nicht. Sonst geht der Zauber verloren. Die Wahrheit sollte eine gute Geschichte niemals kaputtmachen. So bleibt es spannend. 

Ist es eine Art Therapie für Dich, traurige Themen in deinen Texten aufzuarbeiten?

Ja, ein bisschen vielleicht. Es ist richtig, dass ich manchmal, wenn es mir schlecht geht, oder etwas schiefläuft, durch die Musik damit umgehen, ein bisschen von der Wut rauslassen konnte. Das funktioniert genauso gut wie, sagen wir, ins Fitnessstudio zu gehen – das betrifft sowohl das Liederschreiben wie das Spielen. Es ist jetzt schon sechs Monate her, seit ich das letzte Mal live gespielt habe. Ich habe gemerkt, wieviel es mir gibt, das zu tun, sowohl körperlich als auch geistig, und wenn ich es nicht tue, hinterlässt das ein richtiges Loch in meinem Leben. Irgendwann letztes Jahr dachte ich, es wäre doch nett, einfach mal gar nichts zu tun und einfach nur zu entspannen. Am Ende war das gar nicht entspannend. Es war nur traurig. Ich kann es kaum abwarten, wieder live zu spielen.

Was genau liebst Du daran so sehr?

Das Beste daran ist, dass du alles gibst, dich total reinhängst, und gleichzeitig so viel zurückbe-kommst. Du kannst halb tot auf sein, weil du drei Nächte nicht geschlafen hast, aber weil dir die Leute so viel Energie zurückgeben, so viele Emotionen, fängt dich das immer wieder auf. das ist dieses intime Gefühl des Energieaustausches, das sich einfach so gut anfühlt.

Du arbeitest gerade an deinem zweiten Album, das Ende 2019 erscheint. Was können wir davon erwarten?

Ich nehme es gerade auf, und hoffe, dass alles gut laufen wird. Textlich, auf jeden Fall, ziehe ich die Linie weiter, die schon meine letzten Songs bestimmt hat. Es wird nicht weniger schmerzhaft. Es bleibt sehr politisch, und trotzdem auch sehr persönlich. Kein Thema ist vom Tisch (lacht).

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