Generating a Genre

Natascha Augustin, Senior Creative Director bei Warner Chappell, ist jene Branchenführerin mit kühlem Kopf, die Deutschlands heißeste Hip-Hop- und Rap-Acts an die Spitze der internationalen Aufmerksamkeit katapultiert – auch wenn ihre Demut sie davon abhält, überhaupt Anerkennung dafür einzufordern.

Als eine Pionierin des Deutschrap seit seiner Geburtsstunde hat sie durch ihr Talent, den ständig wechselhaften Geschmack in der Popmusik zu navigieren, nicht nur Warner Chappell sondern der gesamten Industrie zu einem festen Stand verholfen. Natascha hat sich einen Moment Zeit von ihrem Nonstop-Kalender genommen, um COMPANION zu erzählen, wie sie neue Talente entdeckt, was ihr an der neuen Welle deutscher Rapperinnen gefällt und wie ihr Ausblick auf die Zukunft des Genres ist.

COMPANION: Du wirst dafür gelobt, Deutschrap auf der internationalen Bühne etabliert zu haben. Was reizt dich an dem Genre und wie bist Du zu seiner Sprecherin geworden? 

Natascha Augustin: Ich bin nicht über die Musik, sondern über die Menschen dahinter zum Deutschrap gekommen. Alles fing an mit einem Deal mit Farid Bang und seinem Label Banger Musik. Ich mag die Energie und die Selfmade-Mentalität an der Szene, und die Biografien der Künstler. Wir haben schon sehr früh Deutschrap zur Priorität bei Warner Chappell gemacht und waren von Anfang (des Genres) an dabei. Die Leute wissen, dass ich respektvoll und loyal bin, und mich richtig reinhänge für das Genre.

Was ist Deutschrap überhaupt?

Der Begriff wurde vor 20 Jahren von dem Chefredakteur der Hip-Hop-Zeitung „Juice“ erfunden, um aufstrebende deutsche Hip-Hop-Künstler wie Fanta 4 zu beschreiben.

Für diejenigen, die nicht im Musikgeschäft sind, kann die Kunst, Künstler an die Spitze der Charts zu bringen, wie eine mysteriöse Alchemie erscheinen. Wie bringst Du einen Song an die Spitze der Charts?

Die Zeiten, als kommerzielle Songs die Spitze der Charts einnahmen, sind vorbei. Das funktioniert heute direkt, von Rapper zu Fan, durch Soziale Medien. Die neuere Generation von Deutschrappern wurde in den vergangenen Jahren von der Branche ignoriert, also haben die Protagonisten aus der Not eine Tugend gemacht, und die Promo komplett selbst in die Hand genommen. Das ergibt eine sehr intensive Fan-Bindung und Glaubwürdigkeit, und daraus resultieren gigantische Follower-Zahlen. Wir unterstützen und schieben an, wo Hilfe gebraucht wird, stellen zum Beispiel Kontakte zwischen Produzenten und Rappern her, organisieren Features, besorgen Testimonial-Deals und so weiter.

Wie schafft man es, ein ganzes Genre erfolgreich zu etablieren?

Das Genre hat sich wirklich komplett selbst etabliert, unabhängig von der Industrie. Rap ist die weltweit dominierende Popmusik.

Wo entdeckst Du neue Talente?

Durch mein sehr gutes Netzwerk erfahre ich sehr früh (in ihren Karrieren) von interessanten Künstlern und Songwritern. Die Zeiten, in denen man eine Nachwuchsband über ein Demotape oder im Freizeitheim entdeckt hat, sind lange vorbei. Lukrative Deals bekommt man heute oft ganz unglamourös durch Anwälte angeboten. 

Wer sind derzeit die inspirierendsten Frauen im Deutschrap? 

Ich finde alle Frauen inspirierend, die nicht versuchen, männliche Verhaltensweisen zu imitieren und Haltung haben. Nura (früher Mitglied bei SXTN) ist zum Beispiel super, weil sie ihre Reichweite nutzt, um über Themen wie Rassismus oder Homophobie zu sprechen.

Wie beurteilst du die internationale Wahrnehmung von Deutschrap? 

Die immensen Streaming-Zahlen aus Deutschland – als der drittgrösste Musikmarkt der Welt – sprechen für sich selbst. (Die Gruppe) 187 Strassenbande und der Rapper Capital Bra haben es auf über eine Milliarde Streams gebracht. Erfolg ist durch Streaming transparenter geworden, deshalb sind lokale Künstler auch interessant für Songwriter aus dem Ausland. Wir kriegen ständig Anfragen von internationalen Produzenten, die mit deutschen Rappern arbeiten wollen, und organisieren auch Features für internationale Rapper, zum Beispiel Olexesh für Boogie Wit Da Hoodie oder Summer Cem für Post Malone.

Wie sind Deine Erfahrungen als Frau in einer männerdominierten Branche, die ziemlich geprägt vom Machismo sein soll?

Probleme mit Sexismus, aber auch mit Rassismus, sind kein Rap-Phänomen, sondern ein grundsätzliches Thema der Musikbranche. Darüber wurde in der letzten Zeit sehr viel diskutiert. Ich persönlich begegne den Menschen, mit denen ich arbeite, mit viel Respekt, und bekomme den auch zurück. Auf jeden Fall bin ich optimistisch, was die Zukunft angeht. Es rückt eine neue weibliche Generation nach, sowohl in der Industrie, als auch auf Künstlerseite. Großartige Rapperinnen wie Eunique, Nura, Juju und Haiyti – um nur einige zu nennen – sind weibliche Vorbilder, die die Tonalität des Rap verändern werden.

Was sind angesichts der radikalen Veränderungen in Sachen Musikkonsum die größten Herausforderungen, vor denen Warner Chappell steht? 

Als Musikverlag haben wir schon immer den Song in den Fokus gesetzt. Wir unterstützen unsere Künstler dabei, ihre Musik zu komponieren. Die Absatzwege ändern sich, aber der Song und seine Entstehung werden immer wichtig bleiben. 

Welche Trends im Deutschrap hast du derzeit auf dem Radar?

Rap wird noch mehr zum Mainstream – Bausa hat es vorgemacht. Rap wird übergreifen auf ältere Generationen, weil sich auch das Radio ihm nicht mehr verschließen kann. Die Ästhetik des urbanen Sounds wird kompositorisch massiv die Popmusik beeinflussen. Der Zenith ist noch lange nicht erreicht.

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