Happy Go Vienna

Wiederholt wurde Wien zur lebenswertesten Stadt der Welt erklärt. Pferdekutschen, Sachertorte, Küss die Hand - echt jetzt? Ja, sagt Zara Pfeifer. Vor dreizehn Jahren kam sie von Köln aus zum Studium hierher und ist, mit Unterbrechung, geblieben.

COMPANION nimmt sie mit auf einen Spaziergang, der ein Schnelldurchlauf ist durch die Architekturgeschichte ihrer Wahlheimat. Mit Architektur kennt sie sich nämlich aus: Ihren Bachelor in diesem Fach hat sie an der Technischen Universität gemacht, ihren Master an der Akademie der Bildenden Künste. Heute arbeitet sie als freischaffende Fotografin und Künstlerin. Was Wien so lebenswert macht, kann Zara an einem ganz konkreten Beispiel benennen, der Großwohnsiedlung Alt-Erlaa, die sie kürzlich im Fotoband „Du, meine konkrete Utopie“ verewigt hat. Obwohl sie etwas außerhalb liegt, sind deren Bewohner Bilderbuchwiener — pragmatisch und mit ausgeprägtem Gemeinschaftssinn. Umfragen bestätigen die Beobachtung: Wiens soziale Wohnpolitik trägt erwiesenermaßen zur Zufriedenheit der Bewohner bei. Bei unserem Spaziergang durch die Innenstadt fällt Zara noch etwas auf: Viele der Orte waren damals ihrer Zeit voraus. Und auch der genussvolle Weltschmerz hat hier einen Platz, das Verstaubte ebenso wie der Zeitgeist. Die Einheimischen nennen das: Mélange.

Wiener Secession

Los geht unsere Tour mit einem Wiener Klassiker, der erst einer werden musste: Eines der schönsten Wiener Jugendstilgebäude befindet sich fußläufig zu Zaras ehemaligen Universitäten. „Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“ steht über dem eindrucksvollen Portal geschrieben. Erbaut wurde die Secession 1898 von Joseph Maria Olbrich als Ausstellungs- und Versammlungsort einer aufstrebenden Künstlerbohème rund um Gustav Klimt. Die damalige Bevölkerung war entsetzt: so neu, so anders als die Gebäude drum rum! Heute zeigt die Secession wechselnde Ausstellungen internationaler Künstler. Etwas ganz Besonderes ist der Blick von der Besuchern normalerweise nicht zugänglichen Kuppel. Erst kürzlich wurde sie renoviert, dabei kamen einige der vergoldeten Blätter abhanden. Fladern sagt man dazu auf Österreichisch.

secession.at

Auf den Spuren von Adolf Loos

Adolf Loos ist in Wien kult. „Ornament und Verbrechen“ heißt sein berühmtestes Buch und damit ist eigentlich alles gesagt. Der Jugendstil war dem Architekten verhasst, obwohl auch er Anfang des 20. Jahrhunderts wirkte. In Wien gestaltete er unter anderem die nach ihm benannte Loos Bar, sagenhafte 27 Quadratmeter klein. Durch die verspiegelten Wänden wirkt sie allerdings deutlich größer. Von den im Keller gelegenen Toiletten führte in früheren Zeiten ein Gang direkt ins Bordell. Die Cocktails sind bis heute solide, der Signature Drink ein mit Sprudel verdünnter Champagner. Wenige Meter von dort entfernt steht das Looshaus, eines der wichtigsten Bauwerke der Wiener Moderne, heute von einer Bank genutzt. Seine Fassade kommt, abgesehen von Blumenkästen, ohne jegliche Schmuckelemente aus, eine Kampfansage an den damals üblichen Historismus. Aufgrund seiner fehlenden Fensterverdachungen sprachen die Einheimischen vom „Haus ohne Augenbrauen“. Angeblich ließ Kaiser Franz Joseph einige Fenster der Hofburg vernageln, damit ihm der scheußliche Anblick erspart bliebe. 

loosbar.at

Kleines Café

Keine Website, keine E-Mailadresse, nicht einmal eine Telefonnummer: Dieses im verwinkelten ersten Bezirk gelegene Café weiß, dass die Leute auch so kommen. Zum Beispiel wegen der belegten Brote, die auch nach Mitternacht serviert werden, wenn die Touristen den kauzigen Stammgästen Platz gemacht haben. Für die Inneneinrichtung ist der Architekt Hermann Czech verantwortlich. Die „notwendig gewordenen Toiletten“ wurden erst fünfzehn Jahre später, also Mitte der Achtziger eingebaut. Bis heute lebt hier die verschattete Seite der lokalen Kaffeehauskultur, mit stundenlangem Herumsitzen und Zeitunglesen und vom Hauswein befeuerten Diskussionen. Natürlich wird geraucht. Stimmt es, dass die Fliesen ursprünglich Grabplatten waren? „Könnte sein“, sagt der Kellner. Man könne ja die Chefin fragen, die jeden Mittag eine halbe Stunde vor Ort ist. Natürlich lebendig. 

Franziskanerplatz 3, 1010 Wien

Indie

Was ist außen schwarz, innen schmetterlingsbunt und passt so gar nicht zur Aufgeräumtheit des ersten Bezirks? Es ist der Concept Store Indie. Erbaut hat ihn der österreichische Industriedesigner Carl Auböck in den Siebzigern, ursprünglich als Druckerei. Wieder war Wien um ein Skandalgebäude reicher. Noch heute stehen einige von Auböck gestaltete Metallmöbel im Laden herum, dass Spiegel gefladert werden (siehe Secession) kommt vor. All das erzählt Geschäftsführer Harri Cherkoori, dessen herrlicher Wiener Humor auch irgendwie Concept ist. Ebenso die komplizierte Geschichte des Schmetterlingsfängers Eugène Le Molt, dessen umfangreiche Pyjamasammlung der Grund ist, warum die Schlafanzüge des Labels Praline Le Moult zum Sortiment gehören. Abgesehen davon gibt es bei Indie Sneaker von Novesta zu kaufen, Socken von Royalties, Kleidung des Wiener Labels Rudolf, Taschen aus recyceltem Plastik von Facteur Céleste, Miniaturschaukelpferde, Duftkerzen und Dinge, die schön sind und nutzlos. Und Schmetterlinge. 

instagram.com/indie_vienna

Significant Other

Nach dem Bummeln geht es weiter — mit noch mehr Architektur natürlich. Und Kunst. „Als freischaffender Künstler ist man in Wien ziemlich privilegiert“, findet Kuratorin Laura Amann, weil es verhältnismäßig viel Unterstützung gebe. Gemeinsam mit ihrem Partner Jen Kratochvil leitet sie seit eineinhalb Jahren die Galerie Significant Other. Der Fokus ihrer Ausstellungen liegt auf Architektur aus einer künstlerischen Perspektive, „dabei wollen wir gewohnte Hierarchien umgehen.“ Bei Jasmina Cibics „Everything We Do Today Will Look Heroic in The Future“ etwa war der zur Straße hin ausgerichtete Ausstellungsraum über und über mit Zeichnungen eines Insekts mit dem verstörenden Namen Hitlerkäfer bedeckt. Für Amann und Kratochvil war Wien eine bewusste Entscheidung, einmal, weil die geringen Lebenshaltungskosten eine gewisse Freiheit bieten, zum anderen, weil sich die Kunstszene gut entwickele. Außerdem kennt man sich: eh nett.

significantother.art

Berliner Restaurant

Kunstgalerien, Third-Wave-Coffeeshops, Boutiquen für Babykleidung: Nirgends reicht Wien näher an Berlin heran wie im hippen siebten Bezirk — vor allem, weil sich hier auch Zaras türkisches Lieblingsrestaurant befindet, das für Zara eine willkommene Abwechslung in der Gegend bedeutet und das wir jetzt ansteuern. Denn: Auch essen macht glücklich. Als Stammgast wird sie dort von allen Mitarbeitern herzlich begrüßt. Sie bestellt das „Berliner Frühstück“ mit Oliven, Spiegelei (nur für sie von beiden Seiten gebraten), Zigarrenbörek, Schafskäse, Honig. Der Ayran ist hausgemacht, da kann man auf Alternativen wie Berliner Weiße beherzt verzichten. Zum Abschied gibt es einen türkischen Tee, natürlich aufs Haus. Warum dieser Ort den interessanten, aber verwirrenden Namen „Berliner Restaurant“ trägt? Weil sich gleich nebenan mit dem vom selben Inhaber betriebene „Berliner Döner“ einer der besten Imbisse der Stadt befindet. 

berliner-restaurant-grillspezialität.business.site

Alt-Erlaa

Mit der U-Bahn gehts zu unserem letzten Spot: Alt-Erlaa. Für seine zwischen 1973 und 1985 erbaute Satellitenstadt wurde Harry Glück heftig kritisiert, zu dunkel seien die Gänge, zu seelen-, da fensterlos die Gemeinschaftsräume, zu homogen die Wohnblöcke und die Bewohnerstruktur. Anders als erwartet, hat sich Alt-Erlaa allerdings als Vorzeigeprojekt herausgestellt. Zara schwärmt vom „Wohnpark TV“, vom hauseigenen Bridgeclub und Freddy-Quinn-Museum und von Nachbarn, die in Hausschuhen zum auf dem Dach gelegenen Pool schlürfen: „Im Badeanzug sind alle gleich.“ Tatsächlich trägt Wiens sozialdemokratische Wohnpolitik mit den vielen Gemeindebauten und Wohnbauten wie Alt-Erlaa entschieden zur Lebensqualität bei. Der Quadratmeterpreis liegt hier weit unterm Durchschnitt einer Metropole. Jeder kann sich für eine der 3200 Mietwohnungen bewerben, im Schnitt kommen nach drei Jahren die ersten Angebote. Für Zara, die schon mehrere Wochen hier gewohnt hat, ist das eine ernsthafte Option. Denn eines kann man hier sicherlich: zufrieden sein.

U-Bahnstation Alt-Erlaa

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