Oh la la Réunion

Atemberaubende Strände, spektakuläre Naturkulissen, felsige Vulkanlandschaften, kreolische Köstlichkeiten und eine wilde Mélange der Kulturen.

Die rund 2500 Quadratkilometer kleine Ile de la Réunion ist ein wahrhaft exotisches Fleckchen Frankreich und ein ziemlich abgelegener Zipfel Eurozone. Satte elfeinhalb Flugstunden von Paris entfernt und gelegen mitten im Indischen Ozean, entpuppt sich die Insel östlich von Madagaskar und nur einen Katzensprung von Mauritius entfernt als echtes Paradies für Aktivurlauber und Naturliebhaber — und damit als willkommenes Ziel für uns Abenteurer von COMPANION.

Stau in Saint-Denis. Nichts bewegt sich mehr auf der Küstenstraße, die sich vom Flughafen der Ile de la Réunion einmal rings um die Insel schlängelt und sich hier, in der trubeligen Hauptstadt, besonders eng an die felsigen Wände kuschelt. Nach einer turbulenten Nacht im Flieger von Paris hat uns das gerade noch gefehlt. Rolande Bois bleibt hingegen gelassen. Die immer gut gelaunte Madegassin, die seit mehreren Jahren auf Réunion lebt und für die kommenden Tage unsere Reiseleiterin sein wird, hat sich an die hiesige Verkehrssituation längst gewöhnt. „Es gibt eben nur diese eine Straße um von A nach B zu kommen“, sagt sie schulterzuckend — oder auch mal gar nicht anzukommen.

Auf der Vulkaninsel steht neben dem längst erloschenen Piton den Neiges, der mit seinem weißen Schnäuzchen gute 3000 Meter in den Himmel ragt, auch der spuckende Riese Piton de la Fournaise, einer der aktivsten Vulkane der Welt. „Etwa einmal im Jahr bricht er aus“, sagt Rolande, „in diesem Jahr waren es sogar schon dreimal.“ Bei jedem größeren Ausbruch fließt die Lava an einigen Stellen bis ins Meer. Dann dauert es Tage bis die glühende Masse abgekühlt und mit dem Wiederaufbau der überschwemmten Straße begonnen werden kann. „Mit unserer Straße verbrennen wir im wahrsten Wortsinn regelmäßig Geld“, sagt Rolande und lacht.

Mitten im Wasser, als eine Art Autobrücke, die einmal die gesamte Insel umrundet, will man mit einer neuen Route dem sporadisch vorprogrammierten Stillstand etwas entgegensetzen. Aber die Konstruktion ist aufwendig. Wenn das von der Europäischen Union subventionierte Großprojekt einmal fertig ist, wird es die teuerste Straße Frankreichs sein — mitten im Indischen Ozean! Immerhin gehört Réunion als eines der französischen Überseedepartements offiziell zu einer der 18 Regionen des Landes. Mal sehen, wie viele Ausbrüche es noch dauert, bis die auf Stelzen stehende Ikone fertig ist. Denn: „Auf Réunion ticken die Uhren langsamer“, sagt Rolande.

 

Komisch eigentlich, dass Réunion trotz des entspannten Vibes als echte Abenteuerinsel gilt. Natürlich kann man auch am Strand relaxen und mit Rücksicht auf die Haie, die sich vor der Insel genauso mannigfaltig tummeln wie Wale, bestens baden. Und in den prächtig funkelnden Korallenriffen tauchen. Trotzdem lockt Réunion vorzugsweise Naturliebhaber und Aktivurlauber an, die in einem der drei grünen Talkessel, Silaos, Mafate und Salazie, zu teils mehrtägigen Wanderungen und Klettertouren in wenig berührte Gefilde aufbrechen. Denn die saftig grünen Landschaften werden von den Vulkanen im wahrsten Wortsinn eingekesselt, besonders Mafate ist deshalb nur zu Fuß oder per Hubschrauber zu erreichen und bleibt so ein Stück unberührtes Paradies.

Generell ist Réunion aufgrund der vulkanischen Landschaft schwer zugänglich. Auch ein Grund, warum die ursprünglich unbevölkerte Insel auch nach ihrer Entdeckung lange unbewohnt blieb. „Es heißt, dass die ersten Seefahrer, die des Weges kamen, Réunion wegen des aktiven Vulkans für die Insel der Drachen hielten — den feuerspeienden Ungetümen wollten sie sich besser nicht nähern“, sagt Rolande und lacht. Erst mit der Ankunft der Franzosen auf Kolonialisierungsjagd wurde die Insel ab Mitte des 17. Jahrhunderts bevölkert. Die ersten Siedler waren, neben der Franzosen, verschleppte Sklaven aus Madagaskar, Ostafrika und Indien, die auf den Zuckerrohr- und Vanilleplantagen der Insel arbeiten mussten, die damals übrigens noch Ile Bourbon hieß: benannt nach dem französischen Adelsgeschlecht Bourbon, was der Réunion-Vanille ihren Namen einspielte.

1848 wurde die Sklaverei offiziell abgeschafft. Billige Arbeitskräfte kamen nun aus Indien, Teilen Afrikas und China. Die heutigen Nachfahren der einstigen Siedler werden als Kreolen bezeichnet — gesprochen wird auf Réunion übrigens auch französisch mit kreolischen Anleihen — geprägt wird die Insel bis heute von der Vielfalt der Kulturen. Das harmonische Miteinander der verschiedenen Gruppen markiert einen wichtigen Part der Bevölkerungsidentität. Rolande sagt: „Muslime, Christen, Hindus, Buddhisten: Wir auf Réunion sind stolz auf unsere friedliche Vielfalt.“

Eine Vielfalt, die sich auf Réunion besonders gut über die kreolische Küche erschmecken lässt. Samosas, gefüllte frittierte Teigtaschen aus Indien, gelten als absoluter Lieblingssnack und können an jeder Straßenecke gekauft werden. „Von den Tamilen kommen die Currys, von den afrikanischen Vorfahren unsere Eintöpfe“, erklärt uns Jean François Rivière vom kreolischen Restaurant Le Vieux Bardeau, der uns überschwänglich in der alten Villa im Kolonialstil begrüßt. „Alles ist zu unserer unverwechselbaren Réunion Cuisine zusammen geschmolzen.“

In dem gemütlichen, entspannten Familienrestaurant gibt es die traditionellen Speisen der Insel heute Mittag als Buffet. Neben einem Salat aus Palmenherzen, einem herzhaften Auflauf aus Kochbananen und Chouchou, einer hiesigen Kürbissorte, sowie einem Eintopf aus Brèdes, also lokalem grünem Blattgemüse, darf hier das Cari nicht fehlen: eine Curry-Interpretation und sowas wie das Nationalgericht der Insel, das es auf Réunion in unzähligen Variationen gibt. „In ein Cari gehören zum Beispiel Reis und Hülsenfrüchte, Fleisch oder Fisch, Tomaten und Gemüse. Dazu kommen Zwiebeln, Knoblauch, Ingwer und Gewürze wie Thymian, Pfeffer und Kurkuma“, so Jean François, der sich sichtlich freut, dass uns das deftige, dampfende Gericht gut schmeckt.

Le Vieux Bardeau liegt in der Ortschaft Bourg-Murat und damit praktischerweise direkt auf dem Weg zum Piton de la Fournaise, den wir uns natürlich auch von nahem anschauen wollen. Auf der kurvenreichen Straße geht es immer höher hinauf, bis wir das sogenannte Nez de Boefs erreichen, einen Aussichtspunkt, von wo aus wir einen atemberaubenden Blick auf die grünbehangene Schlucht des Rivière des Remparts genießen — ein Ausblick, so gewaltig, dass es im Bauch ein bißchen kribbelt vor Adrenalin. Gerade bei der Vorstellung, dass man sich dort unten auf eine abenteuerliche Wanderung ohne Strom und Wifi aufmachen könnte, wie sie bei echten Survivalcamp-Fans hier beliebt ist. Ein Grund, wiederzukommen! Jetzt wollen wir endlich zum Krater.

Ein paar Kurven weiter beginnt es zu regnen — mal wieder: Seit unserer Ankunft ändern sich auf Réunion nicht alle paar Minuten, sondern vielmehr alle paar Meter das Wetter und die Vegetation. Während wir uns eben noch zwischen saftig grünen Berghängen und blühenden Pflanzen befanden, wird es um uns herum immer steppenartiger, bis sich auf die letzten Meter die Plaine des Sables auftut, eine rötlich schimmernde mondartige Wüstenlandschaft, über der sich jetzt die Regenwolken stauen. „Auf Réunion gibt es rund 200 Mikroklimazonen“, erklärt Rolande. „Deshalb ist das Wetter hier abschnittweise genauso launisch wie die Natur.“ Einen Vorteil hat es: Regenbögen! In einer nie gesehenen Vielzahl.

Was für eine schöne Entschädigung für das, was wir am Pas de Bellecombe sehen, dem Aussichtspunkt am Rand der Ausbruchzone: nichts als Nebel, der das Kraterpanorama perfide verschleiert. Launisches Wetter eben. Die vernebelte Aussicht holen wir am kommenden Tag mit einer Helikopterfahrt über die Insel einfach wieder rein. Mal wieder kribbelt es leicht im Bauch, als wir zu unserem rund 45-minütigen Rundflug über den Vulkan als auch die drei Talkessel abheben. Unser Pilot dreht Pirouetten in der Luft, um ganz dicht zwischen den Felsspalten hindurch und über Palmenhaine hinweg zu flattern. Auch das Meer, dessen Wellen sich typisch für die Insel nicht am Strand, sondern schon weit draußen im Wasser brechen, tut sich vom Helikopter aus besonders faszinierend auf.

Von oben betrachtet verstärkt sich außerdem dieses Gefühl, das einen auf Réunion oft begleitet: Nämlich die Erde unmittelbarer und intensiver als anderswo zu spüren. Mutter Natur wirkt hier tatsächlich lebendiger, frischer, agiler, irgendwie jugendlicher als auf anderen Teilen des Planeten. Und wirklich ist Réunion, die mit dem Piton de Neige aus dem Ozean aufstieg, mit ihren gerade einmal drei Millionen Jahren auf dem Buckel noch ein echtes Küken in der rund 4,6 Milliarden Jahre langen Geschichte der Erde.

Wieder auf dem Boden schlottern uns noch etwas die Knie. Aber nachdem wir die Insel von oben gesehen haben, wollen wir jetzt nochmal richtig dicht ranzoomen und uns mit der Pflanzenwelt beschäftigen. Réunions grüne Lunge ist ungefähr so vielfältig wie die Inselküche: Neben einer reichen Vielfalt an endemischen Pflanzen haben die ersten Siedler Pflanzen von überall auf der Welt mitgebracht und kultiviert. Die Vanille, eine Orchideenart, die ursprünglich aus Mexiko stammt, ist vielleicht das populärste Beispiel, das in der Duft- und Geschmackswelt der Insel und als kostbares Exportgut eine Rolle spielt. Aber auch Vetiver oder eine heimische Geranium-Art, die wir auf der Insel entdecken, schreiben sich mit ihren kräuterigen, frischen Aromen in unser olfaktorisches Reisegedächtnis ein.

Um noch mehr über die Pflanzen und Düfte der Insel zu lernen, besuchen wir Marie-Rose Séverin von der Coopérative Agricole des Huiles Essentielles de Bourbon, kurz CAHEB — der Kooperative zur Gewinnung ätherischer Öle der Insel in der Stadt Tampon. „Zu uns kommen die kleineren Bio-Betriebe der Insel mit ihrer Ernte. Aus dem, was sie uns bringen, gewinnen wir die duftenden Essenzen“, sagt die Dame mit dem passenden floralen Namen, während sie uns den kleinen Garten als auch die Kesselanlage zeigt, die für die Wasserdampfdestillation gebraucht werden. Mit ihren Ölen und Essenzen beliefern sie unter anderem Parfumeure, darunter die Pariserin Marie Le Febvre, die von Berlin aus die angesagte Duftmanufaktur Urban Scents betreibt und für den Shop der Kooperative selbst schon das eine oder andere Duftwässerchen gemixt hat. Grund genug, uns in den kleinen Räumlichkeiten einmal durch das gesamte Sortiment zu schnuppern — und das eine oder andere Souvenir einzutüten, immerhin nähert sich unsere Reise dem Ende.

Ausklingen lassen wollen wir die Tour aber am Strand, und zwar dem Plage de l’Étang-Saléne, der für seinen schwarzen vulkanischen Sand berühmt ist und zum Sonnenuntergang ein herrliches Farbspiel als Kulisse zaubert. „Tagsüber würde hier kein Local hingehen“, sagt Rolande. Denn das dunkle Schwarz ziehe die Hitze an, sodass man sich leicht die Füße verbrennt. Abends lässt sich hier hingegen bestens den Wellen beim Rauschen zuhören und ein kühles Dodo, das lokale Bier, genießen. Wir greifen hingegen zum rhum arrangé: ein Rum, der mit Kräutern und Früchten angereichert wurde als echte Spezialität der Insel gilt. Der schmeckt abenteuerlich süß, wechselhaft turbulent und auf entrückte Weise französisch. Wie ein exotisches Stückchen Frankreich eben. Mitten im Indischen Ozean.

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