Die Wissenschaft der Düfte
In einem Labor wurde im Jahr 1973 das subtile, verführerische Aromamolekül Iso E Super hergestellt. Im Jahr 2006 füllte Meister-Parfümeur Geza Schön es in reiner Form ab, um Molecule 01 zu kreieren - einen Duft, der inzwischen auf der ganzen Welt Kultstatus erlangt hat.
Viele Düfte später besuchte COMPANION Schön in seinem Apartment und Labor in Berlin, um in die Chemie hinter diesen "Anti-Düften" hineinzuschnuppern und seine Sicht auf die Naturbesessenheit der Wellnessindustrie kennenzulernen (kleiner Tipp: Sie wird überbewertet.)
COMPANION: Dein erster Duft, Molecule 01, wurde direkt nach seiner Markteinführung zum Erfolg – und alles, was du tun musstest, war, seinen einzigen Inhaltsstoff, ISO E Super, abzufüllen.
Geza Schön: Ich habe einfach entschieden, dass diese Chemikalie es wert war, sie einzeln abzufüllen. Neben den vier Molecule-Parfums aus der Reihe gibt es einen Escentric-Duft, der eine Hommage an Molecule ist. Diese Düfte enthalten mehr als einen Inhaltsstoff. In diesem Experiment möchte ich als Teil einer komplexen Duftstruktur das Beste aus jedem Molekül heurausholen. Molecule 01 hat eine samtige, leicht zedernholzige, erotische, bernsteinartige Note. Ein sehr komplexer Duft dafür, dass er aus nur einem Molekül besteht.
Worauf führst du die Popularität der Molecule-Serie zurück?
Erst vor einem Jahr konnte belegt werden, dass das Molekül ISO E Super einen unserer fünf Pheromonrezeptoren stimuliert, weshalb Menschen es auf der Straße riechen können und anderen hinterherlaufen, um nach ihrem Duft zu fragen. Ich glaube, das alleine erklärt seinen Erfolg. Außerdem glaube ich, dass heutzutage alle nach einfachen und schönen Dingen Ausschau halten. Die Welt ist bereits komplex und kompliziert genug. Einfache, auffällige Lösungen sind die besten. Und das vereint Molecule 01.
Etwas so vollendet Einfaches zu schaffen, erfordert umfassende Expertise. Im Alter von 13 Jahren konntest du über 100 unterschiedliche Düfte erkennen – und zwar blind! Ist das auf Talent oder Training zurückzuführen?
Auf Letzteres. Ich glaube, dass die Art und Weise, wie Menschen ihren Geruchssinn nutzen, sich in einer Abwärtsspirale befindet. Wir werden in unserem Alltag so sehr mit Bildern überflutet, dass wir heutzutage fast ausschließlich visuell leben. Natürlich können wir hören, riechen, schmecken und fühlen, aber wir sehen und gucken ununterbrochen. Dies hat unser Bedürfnis überlagert, uns beim Einsetzen unseres Geruchssinns wohlzufühlen.
Die verbreitete Vorstellung von „der Nase“ als genialer Parfümeur mit hochsensiblem Geruchssinn ist also eine Täuschung?
Ich glaube, es kommt darauf an, zu welchen Momenten im Leben wir Gerüchen ausgesetzt sind. Wer in der südfranzösischen Stadt Grasse mit ihrer langen Parfumgeschichte aufwächst, wo etwa jeder Zehnte im Beruf mit Gerüchen zutun hat, bekommt das Wissen über Generationen weitergegeben. Dadurch entsteht Nähe und man kann – im wahrsten Sinne des Wortes – von Kindesalter an in den Bereich hineinschnuppern. Ich bin mir aber nicht sicher, ob ich an die Idee eines magischen Talentes glauben soll. Wären Beethoven oder Vivaldi großartige Musiker geworden, wenn sie niemand vor ein Klavier oder eine Geige gesetzt hätte? Wir alle haben ein großes kreatives Potenzial, und solange wir nicht die Möglichkeit haben, in ein interessantes neues Thema einzutauchen, wissen wir nicht, ob wir in etwas gut sind.
Woher nimmst du deine Inspiration, wenn du neue Düfte kreierst?
Jedes kulturelle Phänomen ist ein hervorragender Ausgangspunkt für einen Duft. Das kann ein Land sein, ein bestimmtes Essen, eine Textur, ein Buch, eine Farbe, ein Wort – einfach alles. Es kann auch ein einzelnes Produkt wie Patschuli oder Sandelholzöl sein: Vor einem Jahr gab mir Flavors & Fragrances (IFF), die mich mit Inhaltsstoffen beliefern, das beste Ingweröl, das ich je gerochen habe. Mein erster Gedanke war: „Daraus muss ich einen Duft schaffen.“
Was ist mit synthetischen Inhaltsstoffen?
Heutzutage ist eine neue Chemikalie seltener als ein neuer natürlicher Inhaltsstoff, da jede Chemikalie bereits gefiltert, eingefroren und immer wieder gerochen wurde. Dies spiegelt sich auf dem Markt wider. Nur etwa alle fünf bis zehn Jahre erscheint eine neue Chemikalie, zu der wir sagen: Wow, das ist etwas Neues, diese Wirkung hatten wir noch nicht, lass uns damit arbeiten.“ In den 70er- und 80er-Jahren war der Einfluss noch vielfältiger.
Du hast auch Düfte für Unternehmen kreiert.
Das Konzept liefert in diesem Fall der Kunde. Sobald ich das Briefing erhalten habe, lasse ich es erst einmal sacken und entwickle dann Ideen, die zum Bild und Alleinstellungsmerkmal des Kunden passen. Letztlich ist das Ziel natürlich, dass die Menschen den Duft erleben und denken: „Das riecht gut!“ Orte wie Hotels stellen dabei eine besondere Schwierigkeit dar, da hier Menschen aus der ganzen Welt aufeinandertreffen, die alle eine unterschiedliche Vorstellung davon haben, was gut riecht.
Es gibt allerdings Gerüche, die nahezu universell eine positive Konnotation haben.
Um einen Duft für einen bestimmten Raum zu schaffen, wie zum Beispiel für ein Hotel oder einen öffentlichen Raum, wo Menschen hinkommen, um einen bestimmten Zweck zu erfüllen, muss mit Assoziationen gearbeitet werden. Der Duft von Orangen ist ein sehr positiver Geruch. Ihr Saft ist gesund, leicht und süß. Also mögen wir ihn. Dasselbe gilt für Sonnencreme. Es haben sich lediglich zwei oder drei Sorten über die Jahrzehnte entwickelt. Wir nutzen die Lotion im Sommer, am Strand und am Meer. Und da jeder gerne in den Urlaub fährt, riecht das sofort gut. Er umgibt dich, während du eine gute Zeit hast.
Wonach riecht Glück?
Das hängt von den Momenten in unserem Leben ab, in denen wir Gerüche genießen. Manche vertrieben uns – „Iih, hier stinkt es“, und andere duften, wie zum Beispiel Omas Küche, wo sie Kekse backte und wir zusammen Zeit verbrachten. Wenn du zum Beispiel deine erste Erfahrung mit einer bestimmten Frucht oder einem Gemüse unter den falschen Umständen machst, deine Eltern zum Beispiel gerade einen heftigen Streit hatten, entsteht eine Verbindung zwischen diesem Geruch und der bestimmten Situation, in der wir ihn das erste Mal wahrgenommen haben. Wonach Glück für uns riecht, hängt also von unserer Sozialisierung ab.
Besonders die Wellnessindustrie ist besessen von allen möglichen Naturprodukten, was deine Molecule-Parfums jedoch nicht sind. Messen wir „Reinheit“ und „Natürlichkeit“ zu viel Bedeutung zu?
Ich denke wir sind an dem Extrem angelangt, wo die Menschen noch immer glauben, dass die Natur selbst gut ist und deshalb Naturprodukte wie ätherische Öle ebenfalls gut sein müssen. Nun, die Antwort ist nein. (lacht) Manche ätherischen Öle sind sehr aggressiv. Die Natur produziert ätherische Öle entweder als Reiz oder als Warnung. Einem Kraut tut es nicht gut, wenn wir ein Stück Basilikum abreißen und es essen. Wenn ein Käfer von einem Basilikumblatt abbeißt, tut er das nur einmal. Einige Bestandteile in ätherischen Ölen sind in bestimmten Dosierungen giftig. Deshalb kann man nicht sagen, dass Natur grundsätzlich besser ist. Die meisten Chemikalien sind sogar sehr viel sanfter zu unserer Haut. Dennoch hat das Bild, das wir von der Natur geschaffen haben, viele Unternehmen dazu gebracht, nur noch natürliche Inhaltsstoffe zu verwenden. Sie sind unverarbeitet, und das mögen viele Menschen. Aber sie erzeugen nicht unbedingt einen besseren Geruch.
Welche Rolle spielen Düfte in deinem eigenen Alltag?
Ich würde mir zum Beispiel keine Duftkerzen aufstellen, da ich jeden Tag mit Parfum arbeite. Wir kochen jeden Abend, und danach riecht die ganze Wohnung nach Essen. So bin ich aufgewachsen. Ich mag auch den Duft von Rauch und Holz, wenn das Feuer brennt. Wenn ich arbeite, bevorzuge ich aber neutrale Umgebungsgerüche und -geräusche. Ich höre nur selten Musik, wenn ich allein bin. Ich mag die Ruhe. Ich möchte meine Arbeit nicht durch zu viele Außeneinflüsse beeinträchtigen. Ich versuche mich von Dingen fern zu halten, die mein Leben noch mehr überfluten.
Woran arbeitest du im Moment?
Ich arbeite gerade an einer Vielzahl von Projekten und habe viel zu tun. Manchmal lehne ich mich zurück und stelle mir die Frage: „Welche Düfte fehlen der Welt noch? Haben wir nicht schon genug?“ Das kann frustrierend sein, da das Schaffen von etwas Neuem mit Massenanreiz schwierig ist. Das gilt nicht nur für Düfte, sondern für alles. Heutzutage wird unsere gesamte Aufnahme von elementarem Wissen digitalisiert, jedoch nicht intensiviert. Intensität stammt aus den Momenten, in denen wir uns Dinge wirklich ansehen und Zeit mit ihnen verbringen, wenn wir uns intensiv mit ihnen auseinandersetzen, sie lesen, hören oder erfahren.
Wenn die Escentric Molecules auf etwas festzulegen sind, dann auf ein elegantes Mittel gegen das Gefühl von Überlastung.
Das ist einer der wichtigsten Gründe, weshalb wir den Duft kreiert haben. In den 80ern und 90ern hatte ich viele Freunde, die kein Parfum getragen haben. Sie sagten: „Das ist zu viel, zu süß, zu fruchtig, zu mächtig oder zu stark. – Ich rieche lieber nach gar nichts als danach.“ Ich dachte, es wäre schön, wenn sie einen wahrnehmbaren, persönlichen Duft hätten, der sie umgibt und sie auf einfache Weise wiedererkennbar machen würde. Hierfür eignen sich die Molecules perfekt. (lacht)