Zwischen den Saiten
Für die Grandbrothers, Lukas Vogel und Erol Sarp, ist das Klangspektrum des Flügels nicht auf die Saiten beschränkt.
Als Grandbrothers komponieren Lukas Vogel und Erol Sarp elektronische Tanzmusik auf dem Klavier und stellen sich in eine Reihe mit den zahlreichen musikalischen Grenzgängern Düsseldorfs. Für COMPANION haben sie die Playlist der Stadt kuratiert, in der sie sich 2011 kennenlernten.
Wer „Düsseldorf“ sagt, muss auch „Pop“ sagen. Hier legte die Krautrockband Kraftwerk in den 1970er-Jahren den Grundstein für Techno. Zeitgleich wurde die Künstlerkneipe Ratinger Hof zum Epizentrum der deutschen Punk- und Underground-Kultur. Kunststudenten von Joseph Beuys trafen hier auf Musiker wie die Fehlfarben, DAF und den späteren Toten-Hosen-Sänger Campino.
Dass dieser produktive Austausch zwischen Kunst und Musik bis heute nachwirkt, hört man auch den Grandbrothers an. Die beiden Pianisten Erol Sarp und Lukas Vogel lernten sich 2011 im Studium der Ton- und Bildtechnik in Düsseldorf kennen. Der gebürtige Wuppertaler Erol und der Zürcher Lukas mussten dort zunächst die eigenen Vorurteile überkommen: „Man hört immer, dass Düsseldorf eine sehr saubere, reiche, ein bisschen kühle Stadt ist“, sagt Erol. „Aber es gibt eine total kreative Künstlerszene – die darf man nicht vergessen, wenn man über Düsseldorf spricht!“
Als Studenten hängen die beiden viel an der Kunstakademie und im Salon des Amateurs herum – Orte experimenteller Kunst und Musik, die sie bald zu ihrem eigenen Projekt inspirieren. „In der Zeit hab ich angefangen, elektronisch zu produzieren und Synthesizer selbst zu bauen. Erol hatte die Idee, zusammen eine Kombo aus Klavier und Elektronik zu machen“, erinnert sich Lukas. Man kennt solche musikalischen Ansätze von Künstlern wie Nicolas Jaar, Nils Frahm und Hauschka.
Der Wahldüsseldorfer Hauschka, der seinen Flügel mit Kronkorken, Alufolie und Rasseleiern auslegte und das elektronisch präparierte Klavier in die Popmusik holte, ist für Lukas und Erol ein großer Einfluss. Mit den Grandbrothers wollen die beiden aber einen Schritt weiter gehen: Der Flügel bleibt ihre einzige Klangquelle – sowohl für Melodien als auch für den Beat. „Natürlich wäre es einfacher, auf Samples zurückzugreifen oder was mit Synthesizern zu machen. Unsere Idee war aber, auf eine mechanische Weise Klänge aus dem Flügel rauszuholen, die nicht so normal sind“, beschreibt Erol.
Tüftler Lukas entwickelte eine Apparatur aus Hämmerchen, die extern an den Saiten oder dem Holz des Flügels angebracht werden. So können Erol und Lukas den Flügel quasi vierhändig spielen – Erol an den Tasten und Lukas vom Rechner aus. Dort nimmt er die Sounds live auf, verfremdet sie elektronisch und mischt sie dem natürlichen Klangbild des Flügels bei.
Wer bei einem präparierten Klavier an John Cage und anstrengende Konzeptmusik denkt, wird bei den Grandbrothers angenehm überrascht. Die Stücke auf den Alben „Dilation“ und „Open“ sind eingängig, stellenweise fast poppig und bleiben doch immer zu anspruchsvoll, um zum banalen Easy Listening zu verkommen. Für Lukas ist die Balance das Entscheidende: „Im Vergleich zu experimenteller elektronischer Musik sind wir schon zugänglicher, im Verhältnis zu seichter Klaviermusik dann wohl doch eher experimentell.“
Das Wechselspiel aus Lukas’ elektronischen Effekten und Erols intelligenten Harmonien erzeugt eine Sogwirkung wie eine spannende Geschichte. Denn obwohl die Stücke ohne Vocals auskommen, erzeugen sie filmmusikartig Bilder im Kopf. Ihre Tracks tragen poetische Titel wie „Long Forgotten Future“ oder „Circonflexe“. Das sind jedoch keine programmatischen Vorgaben. Wie alles bei den Grandbrothers entstehen die Themen im Prozess. „Es gibt vorher keine Story. Wir fangen an zu jammen und überlegen am Ende: Oh, jetzt müssen wir das irgendwie abspeichern. Manchmal fällt uns assoziativ was ein. Manchmal schlagen wir aber auch ein Buch auf, zeigen irgendwo drauf und das ist dann der Name“, erklärt Erol lachend.
Auf Tour ist ihr Set-up eine ziemliche Herausforderung und hat sicher schon einigen Tontechnikern graue Haare beschert. Mindestens zwei Stunden brauchen sie, bis jedes Hämmerchen an seinem Platz sitzt und jeder Regler eingestellt ist. Trotzdem gehört der Flügel für die Grandbrothers nicht nur in den klassischen Konzertsaal. Im vergangenen Jahr waren sie als Support-Act mit dem DJ und Downtempo-Produzenten Bonobo auf Tour, haben schon Festival-Gigs auf der Fusion gespielt und sind regelmäßig in Clubs unterwegs.
„Wir haben einen starken Clubbezug“, betont Erol. „Wir machen ja nicht nur romantische Klaviermusik zum Träumen, sondern auch Beats. Unsere Musik soll zum Tanzen sein und funktioniert im Clubkontext auch gut.“ Wenn sie es sich aussuchen dürften, würden die beiden am liebsten um acht Uhr abends in der Philharmonie spielen und um zwei Uhr morgens die Party-Crowd auf dem Dancefloor anheizen. Kunst oder Musik, Techno oder Klassik, Experiment oder Pop – für die Grandbrothers schließt das eine das andere nicht aus.